Warum PECS® bei Autismus nie altmodisch sein wird! – Eine Kritik an der Kritik

Manchmal hören wir die Kritik, dass PECS bei Autismus altmodisch ist und nicht mehr zeitgemäß. Vielleicht wurde Dir auch schon einmal gesagt, dass ein Talker iPad® zeitgemäßer ist und diese Kritik an PECS hat dich ins Grübeln gebracht.

Dann wird Dich diese Aussage vielleicht überraschen:

BEI PECS GING ES NIE UM DIE BILDER

PECS KinderBevor ich kritisiere, dass gedruckte PECS-Bilder veraltet sind, muss ich mir bewusst sein, wie lange es dieses Kommunikationssystem für Menschen mit Autismus bereits gibt. PECS ist bereits 37 Jahre alt. Ich wette einige Leser hier bewegen sich in dieser Altersgruppe und würden sich gegen die Kritik wehren, dass sie deswegen nicht mehr zu gebrauchen sind! Tatsächlich würde ich viel mehr darauf hinweisen, wieviel Erfahrung ich schon gesammelt habe. Wie viele Erfolge ich schon feiern konnte und wie gut ich meine ‚kleinen Macken‘ schon ausgebessert habe.

Oldie but Goldie

Das Picture Exchange Communication System (PECS®) wurde zu einer Zeit entwickelt, als so etwas wie ein Sprachcomputer noch nicht einmal am Horizont zu erahnen war. Alles was es neben Gebärden gab waren Bilder (engl.: Pictures). In einem Vorschulprogramm für Kinder mit Autismus kämpfte die Co-Entwicklerin Lori Frost damit, ihre nicht-sprechenden Patienten mit den traditionellen Methoden der Sprachtherapie in die Sprache zu bringen. Manche waren sogar schon am Sprechen, aber eben nicht MIT jemandem. Eher mit sich selbst.

Kommunikation bei Autismus – gar nicht so einfach

gehirn

Es würde jetzt hier den Rahmen etwas sprengen, auf die vielen Besonderheiten einzugehen, die vermutlich bei Autismus dazu führen, dass viele Kinder hier nicht in die Kommunikation mit ihren Mitmenschen finden. Ein großer Faktor ist natürlich, dass Kommunikation soziale Interaktion erfordert. Und dann das Bewusstsein, dass meine internen Bedürfnisse für andere nicht offensichtlich sind – Stichwort Theory of Mind. Da macht es Sinn, dass ich als Mensch mit Autismus vielleicht ein Gespräch nicht beginne, aber sehr wohl antworten kann, wenn jemand anderer mich etwas fragt. Gar nicht so einfach…

Warum also lieber PECS als Talker?

Kind mit Tablet

Wenn ich mich bei einem Schüler dazu entscheide, ihn mit PECS in die Kommunikation zu bringen, entscheide ich mich nicht für Bilder aus Papier vs. Bilder auf dem Talker. Wie oben schon erwähnt, geht es nämlich bei PECS nicht um unbedingt um Bilder. Es geht vielmehr darum, meinem Schüler beizubringen, was eigentlich die Funktion von Kommunikation ist: Welchen Nutzen hat es für mich, in Kommunikation zu treten? Und wann mache ich das?! Es ist also keine Entscheidung gegen den Talker und für PECS.

Die 6 Phasen von PECS mal anders

Wenn die Kritik an PECS also ist, dass das Benutzen von gedruckten Bildern zu altmodisch ist, dann werde ich mal versuchen, die sechs Phasen ohne Bilder umzusetzen:

Phase I – Das Wie der Kommunikation

Sie bringt meinem Schüler bei, von sich aus in die Kommunikation zu starten. Warum das wichtig ist, könnt ihr in diesem Blog nachlesen. Das hat aber schon mal nichts mit Bildern zu tun.

Phase II – Distanz und  Beharrlichkeit

Diese Phase sorgt dafür, dass mein Schüler Gesprächspartner aufsucht. Dass er weiß, wer ihm am besten helfen kann. Dass man auch nach Dingen fragen kann, die nicht direkt angeboten werden. Und das bedeutet später natürlich auch, dass man auch über Dinge spricht, die man nicht unmittelbar in dem Moment erlebt.

PECS Phase IIIPhase III – Unterscheidung von Symbolen

Jetzt kommt die erste Phase, in der es darum geht, dass der PECS Nutzer die richtigen Worte findet. Hast Du schon mal versucht, eine Fremdsprache zu lernen und wenn du sie dann anwenden möchtest, fällt dir das richtige Wort nicht ein? Und dann gibt dir jemand eine Auswahl von 5-15 Wörtern? Viel Glück dabei, das richtige zu finden! Wie blöd, wenn man immer wieder knapp daneben liegt, bis man es dann endlich findet.

Ab Phase IV geht es dann vor allem darum, dass wir diese Wörter oder Gebärden oder Bilder, die wir jetzt gut kennen, in längeren Sätzen verwenden.

Natürlich stelle ich auch mal Fragen im PECS® Protokoll. Aber halt nicht ständig, und nicht immer als erstes.

PECS® ist wie Lego® … nur anders

Lego Steine wie PECS

Die Moral von der Geschicht‘ ist also folgendes: Das Picture Exchange Communication System ist eine Bauanleitung, damit ich am Ende funktionale Kommunikation habe. Ob ich aber dafür rote oder blaue ‚Steine‘ verwende – Marke oder Kopie -, oder ob ich das Ganze auf dem iPad® mache, ändert nichts daran, dass die Systematik ein Erfolgsrezept ist, die ich so nirgendwo anders finde.

Auf in die Neuzeit!

Du siehst also, PECS als altmodisch zu kritisieren liegt eher an einem Missverständnis darüber, worum es bei dem System eigentlich geht. Das konnte ich jetzt hoffentlich ein wenig erklären.

Lori Frost FortbildungAch ja…

Wie Du übrigens das System erfolgreich auf den ‚modernen‘ Talker überträgst, hat Lori Frost in einer tollen Fortbildung zusammengestellt. Übrigens unmittelbar nach der Einführung des iPads®. Weil man ja nicht mit Scheuklappen durch die Welt läuft…